Wer steckt hinter der TAK?

Zu den Terroranschlägen in Istanbul vom 10.12.2016 und in Kayseri vom 17.12.2016 bekannte sich die Terrororganisation „Freiheitsfalken Kurdistans“ („Teyrêbazên Azadîya Kurdistan“, kurz TAK). Es gibt unterschiedliche Meinungen zu der Frage, um wen oder was es sich bei der TAK genau handelt. Während u.a. die türkische Regierung sie mit der PKK gleichsetzt, behaupten PKK-nahe Quellen, dass sie eine von der PKK unabhängige, vom türkischen Geheimdienst infiltrierte Gruppierung wäre. In den deutschen Medien wird sie häufig als PKK-Splittergruppe oder als Abspaltung von der PKK bezeichnet. Kürzlich tauchte jedoch eine weitere Meinung auf und erweiterte dieses Spektrum möglicher Erklärungsansätze um eine weitere Facette.

Gerrit Wustmann geht in seinem Artikel auf Telepolis („Kurdische Freiheitsfalken TAK: Das Terror-Gespenst“) auf diese Frage ein.[1] Dieser Artikel ist nicht nur deswegen bemerkenswert, weil der Autor sich einerseits über eine Verschwörungstheorie beklagt und im gleichen Atemzug kurioserweise selber eine Verschwörungstheorie präsentiert, die er auch als solche benennt, sondern vor allem wegen des Inhalts dieser Verschwörungstheorie. Demnach würde der türkische Geheimdienst MIT hinter dieser Gruppe stecken und ihre Strippen ziehen, also ein viel weitreichenderer Vorwurf als der der Infiltration.

Dass der Autor zur Untermauerung seiner Verschwörungstheorie ein nicht besonders originelles Wortspiel erfindet („Eigentlich, so hört man in Istanbul des öfteren, müssten sie sich MITAK nennen.“), ist seiner Glaubwürdigkeit zwar nicht sehr dienlich, aber nichtsdestotrotz lohnt sich ein Blick auf die Plausibilität der von ihm präsentierten These.

Dazu schauen wir uns zunächst einige die TAK betreffende Aspekte an: 


1. Personelle Verpflechtungen zwischen der TAK und der PKK 

Auf der Internetseite der TAK, auf der sie sich zu Terroranschlägen bekennt, stellt sie auch die Selbstmordattentäter kurz vor.[2][3] Von einigen der Attentäter sind Fotos aufgetaucht, die sie in PKK-Uniformen und/oder in PKK-Lagern zeigen. Nachdem solche Fotos auftauchen, beeilt sich die PKK regelmäßig, zu behaupten, diejenige Person hätte die PKK bereits vor x Jahren verlassen. 


1.1 Orhan Caner (Kampfname: Şoreş Hakkari; Hatay, 11.08.2008) [4]

Eine Ausnahme in dieser Hinsicht bildet der Fall des Terroristen Orhan Caner, von dem sich die PKK nicht distanzierte, auch nachdem die TAK ihn und seine Tat für sich reklamiert hatte. Laut Darstellung der TAK schloss sich Caner ihnen angeblich 2007 an [5], nachdem er 2002 zuvor der PKK beigetreten war. Er taucht jedoch weiterhin auch auf einer PKK-Internetseite auf, auf der die PKK ihre toten Kämpfer auflistet.[6][7] Ebenso wird er in der Septemberausgabe des Jahres 2008 der Serxwebun, einem Verlautbarungsorgan der PKK, bei den Verlustmeldungen aufgeführt.[8] Demnach war er bis zu seinem Tod Angehöriger der PKK. 

Orhan Caner auf der Internetseite der TAK. [2][3]

Orhan Caners Erwähnung auf einer PKK-Seite, auf der sie ihre Verluste aufführt. [7]

Orhan Caner in der Serxwebun. [8]


1.2 Vedat Acar (Kampfname: Derwêş Şino; Istanbul, 31.10.2010) [9] 

Dass der Selbstmordattentäter Vedat Acar überhaupt etwas mit der PKK zu tun hat, hatte sie zunächst bestritten [10], nachdem jedoch Fotos aufgetaucht sind, die ihn in einem PKK-Camp zeigen, musste sie eingestehen, dass er seit 2005 sehr wohl der PKK angehörte, jedoch hätte er sie 2009 verlassen.[11] Laut Angaben des befragten PKK-Sprechers wurde Vedat Acar in einem PKK-Lager in Hakurk (kurd. Xakurkê) im Nordirak ausgebildet.

Vedat Acars Profil auf der Internetseite der TAK. [2][3]

Vedat Acar in einem PKK-Camp. [12]


1.3 Abdülbaki Sömer (Kampfname: Zınar Raperin; Ankara, 17.02.2016) [13]

In der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft bzgl. des Terroranschlages in Ankara vom 17.02.2016 befinden sich laut Meldung des Nachrichtensenders Habertürk mehrere Fotos.[14] Die Sicherheitskräfte gelangten in den Besitz dieser Bilder, als am 21.08.2016 in der Provinz Bingöl ein PKK-Kämpfer getötet wurde; dieser soll sie bei sich gehabt haben.

Abdülbaki Sömer auf der Internetseite der TAK. [2][3]

Auf einem der Bilder ist der Selbstmordattentäter Abdülbaki Sömer inmitten einer Gruppe von Frauen zu sehen, die PKK-Uniformen tragen. Bei einer der Frauen soll es sich um die Attentäterin des Anschlags in Antalya vom 25.10.2016 handeln, die am 28.10.2016 gefasst wurde. Außerdem soll sich unter den erbeuteten Bildern auch ein Foto der Selbstmordattentäterin Leyla Basut (Kampfname: Güven Amara Roj; Ankara, 08.10.2016) befinden.

Abdülbaki Sömer umgeben von PKK-Kämpferinnen. [14]

Bemerkenswert ist auch der Umstand, dass bei der Trauerzeremonie für Abdülbaki Sömer außer einem Foto von Abdullah Öcalan und PKK-Fahnen auch ein Bild des Selbstmordattentäters an der Wand angebracht wurde, dass ihn in einer PKK-Uniform zeigt.[15][16] 

Trauerzeremonie für Abdülbaki Sömer. [15]


1.4 Eser Çali (Kampfname: Asya Glidağ; Bursa, 28.04.2016) [17] 

Eser Çali, die Selbstmordattentäterin, die sich in der bedeutendsten Moschee der Stadt Bursa sprengte, schloss sich 2012 der PKK an. Vor dem Anschlag reiste sie aus Syrien ein.

Eser Çalis Erwähnung auf der Internetseite der TAK. [2][3]

Eser Çali bei der PKK. [19]


1.5 Seher Çağla Demir (Kampfname: Doğa Jiyan; Ankara, 13.03.2016) [20] 

Seher Çağla Demir wurde 2013 wegen Mitgliedschaft in der PKK und wegen Propaganda für eine Terrororganisation angeklagt. Daraufhin floh sie in ein PKK-Camp im Nordirak. Anschließend reiste sie nach Kobane in Syrien, wo sie sich fünf Monate aufhielt. Rund einen Monat vor dem Anschlag reiste sie aus Kobane in die Türkei ein. 

Seher Çağla Demirs Profil auf der Internetseite der TAK. [2][3]

Seher Çağla Demir in Reihen der PKK. [21]


1.6 Güven Akkuş (Kampfname: Erdal Andok; Ankara, 22.05.2007) [22] 

Güven Akkuş wurde 1996 wegen Mitgliedschaft in der Union der Kommunistischen Revolutionäre der Türkei (TİKB) verhaftet.[23] Als er 1998 aus der Haft entlassen wurde, reiste er zunächst zu seinem Onkel in die Niederlande. Vermutlich dort schloss er sich der PKK an. 2001 brach er den Kontakt zu seiner Familie ab. Er reiste in den Nordirak und wurde dort in einem PKK-Lager trainiert. 

Güven Akkuş auf der Internetseite der TAK. [2][3]
 
Güven Akkuş ("Erdal Andok") in PKK-Kampfmontur. [24]


2. Ex-PKK-Funktionär Hıdır Sarıkaya über die TAK 

Hıdır Sarıkaya, ein ehemaliger Führungskader der PKK, verfasste vor einigen Jahren einen Artikel, in dem die Sprache auch auf die TAK kam.[25] Der Artikel erschien am 19.02.2006, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die TAK noch weitgehend unbekannt war.

Seinen Ausführungen zufolge wurde die TAK im Jahr 2003 durch die PKK gegründet. Die TAK wäre eine Einheit innerhalb der Spezialkräfte der PKK, es solle jedoch vorgetäuscht werden, dass sie außerhalb der Strukturen der PKK wäre. Für die Anschläge der TAK würde die PKK nicht die Verantwortung übernehmen und würde sie von sich weisen.

Zu den Zuständigkeiten äußert sich Hıdır Sarıkaya folgendermaßen (in seinem Artikel benennt er die PKK-Anführer mit ihren Kampfnamen):

Verantwortlich für die Kreierung der TAK und die Instanz, die ihre Taten absegnet, wären Cemil Bayık (Kampfname: „Cuma“) und Duran Kalkan („Abbas“), während Murat Karayılan („Cemal“) für die Planung zuständig ist. Fehman Hüseyin („Bahoz“) schließlich wäre für die praktische Umsetzung verantwortlich.

Den Ausführungen von Hıdır Sarıkaya zufolge wirkt die Führungsebene der PKK unmittelbar auf die TAK ein und lenkt sie. 


3. Stimmen aus der PKK zur TAK 

Obwohl die PKK-Spitze pro forma darauf hinweist, dass die TAK nicht zur PKK gehört und die Verantwortung für ihre Taten nicht übernimmt, kommen doch auch sehr häufig lobende Worte über ihre Lippen. Einige Beispiele: 


3.1 Interview des PKK-Chefs Murat Karayılan 

Die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF druckte am 22.06.2016 ein Interview des PKK-Anführers Murat Karayılan ab, das dieser mit dem Fernsehsender Stêrk TV geführt hatte.[26] Gleich in seiner ersten Antwort erwähnt Karayılan dabei lobend einige der TAK-Selbstmordattentäter im gleichen Atemzug wie einige andere Selbstmordattentäter, zu deren Taten sich die PKK bekannte. Die entsprechende Passage aus dem Interview lautet folgendermaßen:
Frage: Über den Kampf im Norden [Anm.: gemeint ist die Türkei] wird sehr viel diskutiert. Wie bewerten Sie als Bewegung diesen Kampf?

Karayılan: In den vergangenen 10 Monaten haben wir wirklich einen heldenhaften Kampf erlebt. In der Geschichte des Widerstandes des kurdischen Volkes wurde ein neues Kapitel eröffnet. Ich gedenke der Genossen Azad Sîser, Çekdar Amed, Baran Dersim, Haki Amed, Şervan Varto, Ekin Van, Botan Hakkari und Berfin stellvertretend für unsere heldenhaften Märtyrer, die in diesem Krieg geschuftet, mitgewirkt und sich aufgeopfert haben. Der Monat, in dem wir uns befinden, ist der Monat der Selbstmordattentäter. Die Genossen Zîlan, Sema und Gulan sind in diesem Monat gefallen. Ich gedenke der Genossen Zınar1, Doğa2, Asya3, Eylem4, Dijwar Wan und Dîrok Amed stellvertretend für die Genossen, die ihrem Beispiel folgend in Kurdistan in den vergangenen 10 Monaten ihr Leben opferten und Selbstmordattentate durchführten. Anlässlich dieser Sendung wiederhole ich erneut unser Versprechen, das wir unseren heldenhaften Märtyrern gegeben haben, dass wir ihrem Beispiel folgen werden, dass wir ihre Fahne hochhalten werden und auf diese Weise unseren Freiheitskampf steigernd ihr Gedenken weiterleben lassen werden.

1,2,3,4 Kampfnamen von TAK-Selbstmordattentätern: 
1 Zınar Raperin = Abdülbaki Sömer 
2 Doğa Jiyan = Seher Çağla Demir 
3 Asya Glidağ = Eser Çali 
4 Eylem Newroz = Eylem Yaşa 


3.2 Artikel von Nurettin Demirtaş 

Nurettin Demirtaş, ehemaliger Vorsitzender der HDP-Vorgängerpartei DTP und Bruder des HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş, schloss sich der PKK an.[27] In der PKK-nahen Zeitung Yeni Özgür Politika hat er eine Kolumne. Am 02.05.2016 schrieb er dort einen Kommentar, in dem er Abdülbaki Sömer und vor allem Seher Çağla Demir, die Selbstmordattentäterin vom 13.03.2016, in den höchsten Tönen lobt.[28]

So schreibt er u.a., dass Seher Çağla Demir Abdülbaki Sömer gefolgt wäre, der es verdient hätte, als gewissenhaftester Revolutionär in diesem gewissenlosen 21. Jahrhundert gedacht zu werden, weil er sich dem Genozid an den Kurden in den Weg gestellt hätte. Seher Çağla Demir wäre keine Selbstmordattentäterin, sondern eine Freiheits- und Lebensenthusiastin. Mit ihrer Tat hätte sie nicht Tod geschaffen, sondern Leben! 


3.3 Erklärung des PKK-Exekutivkomitees 

In einer Erklärung vom 26.05.2015 gedachte das PKK-Exekutivkomitee ihrer im Monat Mai getöteten Kämpfer, die in dieser Erklärung als „unsere Märtyrer“ bezeichnet werden.[29] Beginnend mit dem Jahr 1979 werden dabei einige Namen stellvertretend für alle bislang getöteten Kämpfer erwähnt.

In dieser Aufzählung der „PKK-Märtyrer“ erscheint auch Güven Akkuş, der Selbstmordattentäter vom 22.05.2007 in Ankara, zu dessen Tat sich die TAK bekannt hatte. Es wird in keinerlei Weise kenntlich gemacht, dass er einer anderen Organisation angehört haben soll, ganz im Gegenteil, er wird als Held der PKK geehrt. 

Güven Akkuşs Erwähnung in der Erklärung des PKK-Exekutivkomitees. [29]


3.4 Weitere Äußerungen von PKK-Anführern 

In einem Artikel von Deniz Yücel (siehe auch Punkt 4.2) über die Beziehungen zwischen der PKK und der TAK kommt er auf einige Aussagen von Anführern der PKK zu sprechen:[30]
Zudem hat die PKK-Führung niemals Kritik an den „Freiheitsfalken“ formuliert. Dabei war die PKK bei ihrer Gründung gegenüber anderen kurdischen Organisationen alles andere als zimperlich. Und auch heute hält sie sich nicht mit Kritik beispielsweise an der prokurdischen Demokratiepartei der Völker (HDP) zurück. Zu den „Freiheitsfalken“ aber hört man nichts weiter als die Beteuerung, dass diese Gruppe unabhängig sei. 

Als Duran Kalkan, der in der gegenwärtigen Hierarchie der PKK als Nummer drei nach dem politischen Chef Cemil Bayık und dem Militärverantwortlichen Murat Karayılan gilt, in einem PKK-nahen Fernsehsender über den Anschlag auf den Armeetransport sprach, klang er wie ein Vater, der über einen ungezogenen Streich seiner Kinder sprechen würde: mit gespielter Entrüstung, doch in Wahrheit stolz. Kurz danach erklärte ein anderer PKK-Anführer, Sabri Ok, dass man auf die „Tat des Genossen“ stolz sein könne. Und kurz vor dem letzten Anschlag sagte PKK-Chef Bayık in einem Interview mit der „Times“, dass der Krieg jetzt überall geführt werde.“ 


4. Publikationen über die TAK 

Im Folgenden eine kleine Auswahl von bisher erschienenen Publikationen zur TAK von Autoren, die nicht im Verdacht stehen, in irgendeiner Weise AKP-nah zu sein oder Positionen der türkischen Regierung zu vertreten: 


4.1 Rayk Hähnlein im Handelsblatt („Wie der Terror der Freiheitsfalken der PKK schadet“) 

In einem Gastkommentar vom 19.12.2016 geht Rayk Hähnlein von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf die Verbindungen der TAK zur PKK und zur YPG ein.[31] Von einer eigenständigen Organisation könne man bei der TAK nicht sprechen: 
Die TAK sollte im urbanen Umfeld eigenständig gegen türkische Sicherheitskräfte operieren können, ohne den einseitigen Waffenstillstand, den die PKK 1999 nach Öcalans Festnahme ausgerufen hatte, zu gefährden. In diesem Sinne verzichtete die PKK-Führung von Beginn an bewusst auf offizielle Verbindungen zur TAK. Im Vertrauen darauf, dass die jungen Aktivisten der ideologischen und operativen Linie der Mutterorganisation getreu handeln würden, gewährten sie ihnen eine völlige Initiativ- und Operationsfreiheit, die bis heute gilt. 2004 spaltete die TAK sich zwar offiziell von der PKK ab, weil sie deren pazifistisch geprägtes Manifest aus dem gleichen Jahr nicht mittragen wollte. Die Verbindungen zur PKK sind aber so eng geblieben, dass man nicht von einer eigenständigen Organisation sprechen kann.

Ihr paramilitärisches Training erhalten die TAK-Kämpfer in den kurdischen Kantonen Nordsyriens, von denen Kobane das bekannteste ist. Diese stehen unter der Kontrolle der YPG, dem syrischen Arm der PKK. Zahlreiche der TAK-Attentäter der vergangenen Monate haben sich bis zu zwei Jahre lang in YPG-Camps ausbilden lassen und in den Reihen der nordsyrischen Kurden gekämpft. Das unmittelbare Erleben türkischer Militäraktionen war ein wichtiger Katalysator, der sie die Gewalt in die westtürkischen Metropolen zurücktragen ließ.

Die TAK ist zwar die radikalste, aber nicht die einzige unabhängige Jugendorganisation im Umfeld der PKK. Die Patriotische Revolutionäre Jugendbewegung (YDG-H) ist eine weitere bewaffnete Splittergruppe, die hauptsächlich in den kurdischen Städten im Südosten operiert und ebenfalls keine offiziellen Verbindungen zur PKK unterhält. Für die Arbeiterpartei haben diese verdeckten Ableger verschiedene Vorteile. Sie sind attraktiv für jene jungen frustrierten Kurden, denen die offizielle Linie der PKK zu friedlich ist und für die Gewalt gegen die als Besatzer empfundenen Türken die brauchbarste Option ist. Insbesondere die Jahre 2004 bis 2012 waren immer wieder von Hochphasen der Gewalt geprägt, in denen PKK und türkische Sicherheitskräfte gleichermaßen brutal gegeneinander vorgingen. Da die PKK sich aber gleichzeitig immer wieder bemühte, die Spirale der Gewalt mit Waffenstillstandsangeboten zu durchbrechen, war es durchaus in ihrem Sinne, sich öffentlich nicht zur Gewalt ihrer Splittergruppen bekennen zu müssen.“


4.2 Deniz Yücel auf WELT Online („Wer steckt wirklich hinter dem Terror?“) 

Ein lesenswerter Artikel von Deniz Yücel vom 17.03.2016 über die Frage, wer hinter der TAK steckt.[30] Die These, dass sich die TAK von der PKK abgespalten hätte, weil ihr die Vorgehensweise der PKK zu lasch wäre, hält er für unglaubwürdig. Wenn das stimmen würde, hätte die TAK doch gerade während des Waffenstillstandes zwischen der Türkei und der PKK verstärkt aktiv werden müssen. Stattdessen hätte auch sie sich an diesen Waffenstillstand gehalten:
Nach eigenen Angaben haben sie sich im Jahr 2004 von der PKK abgespalten, weil diese zu „pazifistisch“ sei. Die türkischen Behörden halten diese Darstellung für unglaubwürdig – aus guten Gründen.
Gegen diese Darstellung spricht, dass bislang alle bekannten Attentäter der „Freiheitsfalken“ sich zuvor der PKK angeschlossen hatten. Ein noch stärkeres Indiz: Während des Waffenstillstands vom März 2013 bis Juli 2015 war von den „Freiheitsfalken“ nichts zu hören. Würde diese Gruppe tatsächlich die PKK-Führung als zu moderat kritisieren, hätte sie sich wohl kaum an einen Waffenstillstand gebunden gefühlt – so wie die Splittergruppe Continuity Irish Republican Army einst nach dem Karfreitagsabkommen zwischen der IR und der britischen Regierung mit Anschlägen in Erscheinung trat.

(...)

Kurz: Die „Freiheitsfalken“ sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu da, um sich zu Anschlägen im Westen der Türkei zu bekennen, für die die PKK aus politischen Gründen keine Verantwortung übernehmen kann. Oder anders: Sie stehen zur PKK in einem vergleichbaren Verhältnis wie die Todesschwadronen, die der türkische Staat in den neunziger Jahren gegen das tatsächliche oder vermeintliche Umfeld der PKK einsetzte und auf die er womöglich nun wieder zurückgreift.“ 


4.3 Özlem Topçu auf ZEIT ONLINE („Die Türkei gewöhnt sich an den Terror“) 

Özlem Topçu bezweifelt in ihrem Artikel vom 18.03.2016, dass die PKK keine Kontrolle über die TAK haben soll, da die PKK bislang keine andere Organisation neben sich toleriert hätte:[32]
Die niederländische Journalistin Frederike Geerdink hat bei einem Sprecher der PKK im Hauptquartier in den nordirakischen Kandil-Bergen nachgefragt. Man habe keine Information über die Gruppe, sagte dieser – aber sie hätte "mit Erdoğan in der Sprache gesprochen, die er versteht". Kurz darauf ließ der amtierende PKK-Chef Cemil Bayık verlauten, dass die TAK-Anschläge eine "Vergeltung für die Massaker in Kurdistan" gewesen sein könnten. Damit spielte er auf die Zivilisten an, die während der Kämpfe in Städten wie Diyarbakır, Cizre oder Silopi getötet worden sind. Jetzt sollen anscheinend auch die Menschen im Westen merken, was Krieg bedeutet. 

"Könnten gewesen sein": Die Formulierung ist sicher kein Zufall. Schwer vorstellbar ist, dass die PKK, die neben sich keine andere Organisation duldet, keine Kontrolle über die TAK haben will. Außer Zweifel steht indes, dass die TAK bewusst Zivilisten töten will.“ 


4.4 Metin Gürcans Analyse für das Institut Combating Terrorism Center at West Point („The Kurdistan Freedom Falcons: A Profile of the Arm’s-Length Proxy of the Kurdistan Workers’ Party“) 

Sicherheitsexperte Metin Gürcan befasst sich in seiner Analyse vom 27.07.2016 mit der TAK.[33] Seiner Meinung nach handelt es sich bei der TAK um einen halbautonomen Proxy der PKK, der mit seinen Anschlägen den Zielen der PKK dienen würde, ohne die internationale Reputation der PKK zu beschädigen. Mit „halbautonom“ meint der Autor, dass die PKK der TAK die Aufgabe übertragen würde, Terroranschläge durchzuführen; die Entscheidung, wo, wann und mit welchen Mitteln die Anschläge durchzuführen sind, würde die TAK hingegen eigenständig bestimmen, ohne vorher die Zustimmung der PKK einholen zu müssen. Jedoch wäre die TAK von der PKK abhängig hinsichtlich Ideologie, Personal, Logistik, Finanzierung und strategischer Ausrichtung.

Des Weiteren lenkt Gürcan das Augenmerk auf das Timing der Terroranschläge und weist auf die Korrelation zwischen der Intensität der Kämpfe im Südosten und den Anschlägen der TAK hin. Die Terroranschläge würden dann durchgeführt, wenn die Wucht der Kämpfe zwischen der türkischen Armee und der PKK zunehmen würde. Dies wäre bei allen drei Wellen der TAK-Anschläge zu beobachten gewesen (1. Welle: ab 2005, 2. Welle: ab 2010, 3. Welle: ab 2015). Daraus folgert der Autor, dass die PKK in diesen Zeiträumen die TAK beauftragt hätte, Anschläge in der Westtürkei durchzuführen, um auf diese Weise Druck auf die Türkei auszuüben und die türkische Armee von der Ergreifung harter Maßnahmen abzuhalten.

Alle TAK-Attentäter hätten der PKK angehört und wären durch sie trainiert, indoktriniert und unterstützt worden. Metin Gürcan weist auf eine Besonderheit bei den Attentätern der seit 2015 rollenden 3. Terrorwelle hin: Diese würden verstärkt in Lagern ausgebildet, die in Gebieten in Syrien liegen, die vom syrischen PKK-Ableger YPG kontrolliert werden. Dies wäre der Fall gewesen bei den Attentätern, die für die Anschläge vom 17.02., 13.03. und 27.04.2016 verantwortlich sind. So hätte sich Abdülbaki Sömer nach seinem Beitritt zur PKK zunächst zehn Jahre lang im Irak und in der Türkei aufgehalten, anschließend wäre er zur YPG gewechselt und hätte anderthalb Jahre in Syrien verbracht. In die Türkei gelangte er anschließend, indem er sich mit einer falschen Identität als Flüchtling ausgab. Auch Seher Çağla Demir und Eser Çali hätten jeweils einige Monate in Syrien verbracht.

Die Etablierung der TAK hätte für die PKK einen strategischen Vorteil, türkische Sicherheitskreise würden nämlich die angebliche Abspaltung der TAK als Trick der PKK ansehen und davon ausgehen, dass sie weiterhin Einfluss auf die TAK hat. Dies würde die Position der PKK gegenüber der türkischen Regierung stärken, da sie aggressive Organisationen wie die TAK nicht zurückhalten werde, solange die türkische Regierung sich nicht mit der PKK einigt. 


4.5 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen 

Der sächsische Verfassungsschutz hält die TAK für ein Konstrukt der PKK, das deren militärischen Arm HPG vorm Terrorismusvorwurf beschützen soll:[34]

Ab Mitte der 1990er Jahre verfolgte die PKK-Führung eine Doppelstrategie. Während sie sich in Westeuropa bemühte, friedlich in Erscheinung zu treten, agierte sie in der Türkei weiterhin auch mit militärischen und terroristischen Mitteln. Die Guerillaeinheiten, die sogenannten Volksverteidigungskräfte (HPG), griffen sowohl türkische Sicherheitskräfte als auch die Infrastruktur an. Um der HPG ein vermeintlich reguläres militärisches Antlitz zu verleihen und sie vom Terrorismusvorwurf zu bewahren, wurden die Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) ins Leben gerufen. Den TAK schlossen sich überwiegend jugendliche Kämpfer der HPG an, die ab 2004 Sprengstoff- und Brandanschläge verübten.“ 


5. Fazit 

Auch wenn Gerrit Wustmann schreibt, dass man kaum etwas über die TAK wisse, so stehen doch einige Sachen ganz eindeutig fest: Die TAK-Attentäter schlossen sich der PKK an und sie wurden in PKK-Lagern ausgebildet, von einigen der Attentäter gibt es Fotos, die dies eindeutig belegen. Diese Tatsache wird auch von der PKK nicht großartig bestritten. Als sie es im Falle des Terroristen Vedat Acar doch einmal versuchte, wurde sie umgehend Lügen gestraft.

Deswegen kann man die von der PKK gestreuten Gerüchte ausschließen, wonach der MIT die TAK infiltriert haben soll. Dazu müsste der MIT nämlich zunächst seine Leute in die PKK einschleusen, wo sie sich mehrere Jahre aufhalten müssten, um anschließend zur TAK wechseln zu können. Keine praktikable Lösung, wenn man bedenkt, dass sich z.B. Abdülbaki Sömer, der Attentäter vom 17.02.2016, bereits vor 11 Jahren als 15-jähriger der PKK angeschlossen hatte.

Auch die von Gerrit Wustmann in seinem Artikel vorgestellte Verschwörungstheorie, wonach der türkische Geheimdienst MIT der Drahtzieher der Terroranschläge wäre, zu denen sich die TAK bekannt hatte, ist höchst unrealistisch. Da alle bislang bekannten Terroristen der TAK zuvor der PKK angehörten, würde dies bedeuten, dass der MIT gleich scharenweise Personal aus Reihen der PKK abgeworben haben müsste. Was vielleicht bei ein-zwei Terroristen funktionieren könnte, wird bei der Gesamtheit der Selbstmordattentäter zu einem schier unmöglichen Unterfangen, wodurch diese Verschwörungstheorie äußerst unwahrscheinlich wird.

Gegen eine wie auch immer geartete Verbindung der TAK zum MIT spricht auch, dass die PKK die Verantwortung für die Terroranschläge zwar von sich weist, die Täter aber nicht nur nicht verschmäht, sondern sie ganz im Gegenteil in den höchsten Tönen lobt und sie in ihren Märtyrerkult einschließt. Dies würde sie wohl kaum tun, wenn deren Taten ihren Interessen zuwiderlaufen würden und wenn auch nur der leiseste Verdacht bestehen würde, dass der MIT seine Finger im Spiel hätte.

Die Heroisierung der Täter und der auffällige Gleichschritt zwischen der PKK und der TAK untermauert vielmehr die These, dass zwischen ihnen entgegen ihren Beteuerungen eine viel größere Nähe besteht. Die von Deniz Yücel aufgeworfene Frage, warum eine angebliche PKK-Splittergruppe, die die PKK für zu pazifistisch hält, sich ausgerechnet an deren Waffenstillstandsvereinbarungen mit dem türkischen Staat halten sollte, wo man doch gerade in solchen Fällen einen Anstieg der TAK-Anschläge erwarten müsste, ist hierbei der entscheidende Knackpunkt. Ganz augenscheinlich ist es doch so, dass die TAK ihre Anschläge durchführt, wenn die PKK es möchte. Und sie hört damit wieder auf, wenn die PKK es will.

Aus diesem Grund sind auch die in der deutschen Presse üblichen Bezeichnungen „PKK-Splittergruppe“ oder „Abspaltung von der PKK“ nicht zutreffend, da sie eine Distanz suggerieren, die in der Realität nicht gegeben ist. Die Tatsache, dass die TAK ihre Anschlagsziele und das Timing eigenverantwortlich bestimmt, kann man mit Rayk Hähnleins Worten als Initiativ- und Operationsfreiheit oder, wie Metin Gürcan es tut, als Halbautonomie bezeichnen, das ändert jedoch nichts am engen Verhältnis zwischen PKK und TAK.

Die Insider-Informationen des Ex-PKK-Funktionärs Hıdır Sarıkaya fügen sich in diesem Zusammenhang wie ein Puzzlestück in die restlichen Fakten ein und komplettieren das Bild über die TAK. Wenn man alle vorliegenden Informationen betrachtet und logische Schlussfolgerungen zieht, kommt man zwangsläufig zu folgendem Ergebnis: 

Die TAK ist eine Einheit innerhalb der PKK und folgt der von ihr vorgegebenen Strategie. Die TAK dient der PKK dazu, Anschläge durchzuführen, zu denen sie sich aus politischen Gründen nicht bekennen kann/will. Dadurch versucht sie, das Bild der „guten“, militärischen PKK aufrechtzuerhalten, während sie die besonders brutalen Terroranschläge der „bösen“, terroristischen TAK in die Schuhe schiebt. Gleichzeitig dient die TAK als willkommenes Feigenblatt für die Unterstützer und Fürsprecher der PKK im In- und Ausland. 

Womit sich eine weitere Frage über den eingangs erwähnten Autor Gerrit Wustmann und seinen Artikel ergibt:

Warum präsentiert ein Journalist nach einem solch verheerenden Anschlag eine Verschwörungstheorie, noch dazu eine dermaßen unlogische und inkonsistente? Und das, wo er sich doch im gleichen Artikel selber über eine Verschwörungstheorie echauffiert.

Das kann wohl nur Gerrit Wustmann selbst beantworten. Fakt ist, dass er mit dieser Vorgehensweise einer beispiellosen Tatsachenverdrehung Vorschub leistet, indem er die PKK zum vermeintlichen Opfer von imaginären verdeckten Aktionen des MIT verklärt und die Türkei zum Täter stilisiert. Eine sehr perfide Vorgehensweise und unglaubliche Verhöhnung der Terroropfer. Anders lässt sich dieser krampfhafte Versuch, entgegen jeglicher Logik die PKK zu exkulpieren und die türkische Regierung für diese abscheuliche Tat verantwortlich zu machen, nicht beschreiben. 


Quellen: 

[1] https://www.heise.de/tp/features/Kurdische-Freiheitsfalken-TAK-Das-Terror-Gespenst-3568758.html 

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